Lymphtag in Hamburg

Lymphselbsthilfetag vom Bundesverband

9. Lymphselbsthilfetag in Potsdam,
eine lohnenswerte Veranstaltung mit viel input

Unter wissenschaftlicher Leitung des Klinikums Ernst von Bergmann in Kooperation mit der Lymphselbsthilfe e.V., fand der 9. Lymphselbsthilfetag am 22. Juni im Konferenzzentrum oben genannter Institution statt.
Eine Delegation von 8 Mitgliedern der Lip-Lymphselbsthilfe Nord e.V. ist mit einem gemieteten Kleinbus um 5.30 Uhr ab Hamburg Bergedorf nach Potsdam gefahren, um am 9. Lymphselbsthilfetag teilzunehmen. Frühes Aufstehen war gefordert, was jedoch keiner im Nachhinein bedauert hat.
Ein facettenreicher Themenkatalog schlug einen Bogen von neuen Erkenntnissen zur konservativen Lymphologie, über den aktuellen Stand der Lipödemchirurgie und operative Verfahren beim Lymphödem, ergänzt durch ausführliche Informationen zu vorausgehenden diagnostischen Verfahren.
Dr. med. Annelies Kling, Charité Berlin, gab interessante Erläuterungen zur Kompressionsversorgung allgemein, sowie zur medizinisch adaptiven Kompression, beides ergänzt durch Bewegung. So erwähnte sie die Möglichkeit der Unterpolsterung der Bandagierung, wodurch man einen Mikromassageeffekt erzielen kann. Das Kompressionsmaterial ist mehrfach verwendbar, was ökologische und ökonomische Aspekte erfüllt.
Bei der medizinisch adaptiven Kompression haben sich Wraps bewährt. Die Klettverschlüsse ermöglichen ein Nachjustieren und können auch über eine Bandagierung angelegt werden. Außerdem empfiehlt sich ihre Verwendung
bei Polyarthrose oder Arthritis.
In den anschließenden Ausführungen gab Dipl. Psychologin Susanne Helmbrecht, Vorsitzende der Lymphselbsthilfe e.V., einen äußerst informativen Überblick zu den Aktivitäten des im März 2012 gegründeten Verbands. Grundsätzlich geht
es darum, die Interessen, individuellen Belange und notwendigen Therapiemaßnahmen Betroffener des Lip-und oder Lymphödems unter besonderer Berücksichtigung eines interdisziplinären Therapieansatzes zu vertreten. Nicht zu unterschätzen sei die Funktion des Bundesverbands im Rahmen einer politischen Interessenvertretung. Seminare zur Wissensvermittlung zum Selbstmanagement Betroffener sowie Supervisionsveranstaltungen für Selbsthilfegruppen
sind auch Angebote aus einem umfangreichen Portfolio. Erwähnenswert sei eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit.
Die gegenwärtige Mitgliederzahl von 570 repräsentiert die hohe Akzeptanz des Verbands bei den Betroffenen.

Priv.-Doz. Dr. med. Mojtaba Ghods, Chefarzt Klinik für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Mikrochirurgie, Handchirurgie, Klinikum Ernst von Bergmann, gab äußerst interessante Erläuterungen zur Lipödemchirurgie. So müssen jeder OP umfangreiche diagnostische Maßnahmen  wie eine Basisdiagnostik, anthropometrische Messungen
(Messungen zur Erhebung von Körpermaßen wie Körpergröße, Körpergewicht und Taillenumfang; sowie deren Einordnung und Interpretation) ergänzt durch anamnestische Fragen wie Ausschluss von Gefäßerkrankungen, guter Hämoglobinlevel sowie evt. Medikationen vorausgehen.
Es gilt das 4-Augen Prinzip, Diagnostik durch konservativ tätige Ärzte. Die Diagnosesicherung sollte durch einen Lipödem-Spezialisten erfolgen. Eine physikalische Entstauungstherapie sechs Monate vor OP ist unerlässlich. Ziel der OP ist die Linderung Lipödem assoziierter Symptome, was jedoch nur mit einem intensiv durchgeführten Selbstmanagement erfolgt. Hinzuweisen ist auf die Blutungsgefahr post: OP und eine Kontrolle der Lymphbahnen auf Unversehrtheit. Der Therapieerfolg ist abhängig vom BMI und sofortiger Lymphdrainage nach OP.
Quintessenz der fachlich überragenden Ausführungen Dr. Ghods ist :
BMI, Stadium des Lipödems, Alter und Begleiterkrankungen bestimmen Indikation und Erfolg der Lipödem Chirurgie.

Dr. med. Philipp Kruppa, Oberarzt Klinik für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Mikrochirurgie, Handchirurgie , Klinikum Ernst von Bergmann, stellte die Notwendigkeit umfangreicher diagnostischer Verfahren vor lymphchirurgischer Therapie dar.
Anatomische Grundlagenkenntnisse zur Funktion des Lymphsystems bieten die Basis zur Erkennung von Fehlfunktionen, wie z. B. Obstruktion von Lymphbahnen , was einen Lymphstau verursachen kann. Es gilt herauszufinden, wo sich de Lymphstau befindet. Außerdem muss die Funktionsfähigkeit der Lymphklappen überprüft werden. Eine Vielzahl von Untersuchungsverfahren ermöglichen eine präzise Diagnostik. So zeigt ein MRT; ob ein Lymphödem fettdominant ist oder Flüssigkeitsansammlungen aufweist. Die Magnetresonanz-Lymphangiographie ermöglicht eine Differenzierung durchlässiger Lymphbahnen von sklerotischen. Die photoakustische Bildgebung ermöglicht eine dreidimensionale Darstellung und eine eindeutige Unterscheidung des Verlaufs der Lymphbahnen zum Venenverlauf. Ein hochfrequenter Ultraschall ermöglicht die dynamische Darstellung der Lymphgefäße. Die Vielfalt dieser diagnostischen Verfahren wurde durch beeindruckendes Bildmaterial ergänzt und verdeutlichte die Notwendigkeit entsprechender vorausgehender umfangreicher Maßnahmen.
Priv.-Doz. Dr. med. Anja Boos, MHBA, Leitende Oberärztin Klinik für plastische Chirurgie, Hand – und Verbrennungschirurgie, Uniklinik RWTH Aachen, gab äußerst kompetent einen guten Überblick über die verschiedenen OP-Möglichkeiten. Ziel ist eine Rekonstruktion unterbrochenen Lymphabflusses und eine signifikante Steigerung der Lebensqualität.
Grundsätzlich differenziert man resezierende von rekonstruktiven Verfahren. Pathologisch verändertes Gewebe erfordert in Extremfällen ein resezierendes Verfahren und anschließend lebenslang Kompressionsversorgung. Vermehrt finden jedoch rekonstruktive Verfahren Anwendung. Drei Verfahren bieten sich an :
– Lympho-venöse Anastomosen
-Lymphgefäßtransplantation
– Transplantation vaskularisierter Lymphknoten
Äußerst interessant, allerdings noch Zukunftsmusik, sind neueste Entwicklungen in Form der Regeneration von Lymphknoten durch Stammzellen und somit Züchtung von Lymphgewebe.
Dr. Boos konnte mit beeindruckendem Bildmaterial die unterschiedlichen OP-Verfahren und -Möglichkeiten darstellen.

Dr. med.Stefan Kabisch, Studienarzt Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin, beleuchtete kritisch ernährungstherapeutische Maßnahmen bei Lip- und Lymphödem. Bei welchen Erkrankungen greifen Ernährungsumstellungen: Adipositas, Diabetes Typ 2, Hypertonie, Apoplex, Herzinfarkt, Krebserkrankung, um nur einige zu nennen. In den  60er, 70er Jahren erlebte die low fat Theorie ihren ersten Höhepunkt. 150 randomisiert-kontrollierte Studien weltweit belegten , dass die traditionell mediterrane Diät gegen das gesamte metabolische Syndrom wirkt. Nachteil: sie ist relativ teuer.
Welchen Wert hat die Low- Carb Diät, bei der es um Kohlenhydratminimierung geht, bezüglich Lip-oder Lymphödem? Dieser Frage ging der Referent kritisch nach. Es gibt hierzu keine Langzeitstudie und kaum Daten zu Auswirkungen auf Nierenfunktion, Harnsäure und Inflammationsgeschehen. Außerdem ist die Low-Carb Ernährung ca. 50-70 % teurer als die deutsche Durchschnittsernährung.
Es gilt zu ermitteln, welche Ziele verfolgt die Low-Carb Diät und in wie weit ist diese mit den Zielen Lipödem Betroffener kompatibel. So ist primäres Ziel Lipödem erkrankter die Schmerzreduktion, abnehmende mechanische Reizung sowie Verminderung der Hämatomneigung. Ziel der Low-Carb Diät fördert ein starkes Kaloriendefizit und somit eine stärkere Gewichtsreduktion. Es ist noch unklar, inwieweit die Notwendigkeit eines Gewichtsverlustes beim Lip-und oder Lymphödem besteht und welche Auswirkungen diese Diätform auf den Stoffwechsel der betroffenen Patienten hat. Auch hier gilt es wieder, die Patienten in ihrer gesamten Situation zu beurteilen.
So ist die mediterrane Ernährung grundsätzlich am gesündesten einzustufen.

Der umfangreiche, auf sehr hohem Niveau dargebotene theoretische input wurde von neun workshops flankiert. Bernd Schneider, Fachlehrer MLD/KPE  gab wertvolle Tipps und Hinweise zu Fibrose/Verhärtungen im Gewebe. Dr. Dagmar Siewerts vom BKK Dachverband  gab informative Tipps zu Fördermöglichkeiten durch die Krankenkassen und Norbert Breidohr, Liply Remstal, erläuterte die Vorteile der SHG als Verein und wurde dabei von Regine Franz, 1. Vorsitzende Lip-Lymphselbsthilve Nord e.V. unterstützt.
Kompression entwickelt sich immer mehr zum modischen Accessoire, so dass Justine Borchert von Justyna- Moden unter dem Motto, Mode und Kompression-Das passt alles wunderbar, schicke und peppige outfits anbot. Junge Selbsthilfe jetzt online, hierzu gaben Mona, Isabell und Louisa, Organisatorinnen der Julys (junge Selbsthilfe) interessante Einblicke, so dass man sich kurzfristig und ohne Zeitvorgabe online austauschen kann.
Natürlich kam die Bewegung nicht zu kurz, so dass es hierzu drei Workshops gab:
Bärbel Brandt, Tai Chi/Qigong Lehrerin, Diplomsportlehrerin, gab eine aufschlussreiche Einführung in Qigong, Katja Wagner, Sporttherapeutin Orthopädie, brachte die Teilnehmenden mit Smooveys und Brazil nach der Kaffeepause in Fahrt, nicht zu vergessen sei die Entstauungsgymnastik, wunderbar aufbereitet von Katrin Gröber, Physiotherapeutin B.Sc, Fachlehrerin für manuelle Lymphdrainage. Wie vertreibt man die Müdigkeit nach der Mittagspause, Line Dance, wunderbar vermittelt von Tamara Plank, Teacher Line Dance/DTSA.
Alle Workshops waren lohnenswert und es blieb die Qual der Wahl.
Was wäre so eine Veranstaltung ohne die Industrie mit ihren aktuellen Angeboten und Informationen zu individuellen Fragen , die von allen Repräsentanten ausführlich und kompetent beantwortet wurden.

Fazit, der Ausflug nach Potsdam hat sich in jeder Hinsicht gelohnt und die Sensibilität für die eigene Situation, ob Lip-oder und Lymphödem, gestärkt. Eigenmanagement in Form von kontinuierlicher Info und Bewegung sollten stets im Mittelpunkt stehen.